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   (ab Anfang Februar 2005)
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Ausgangspunkt für ein Werk ist fast immer die Stimmung, die das Stück beherrschen soll. Diese Stimmung, die durch einen Text oder einen anderen Eindruck geweckt werden kann (wobei ich nicht sagen kann, ob innere oder äußere Eindrücke überwiegen), ist eigentlich schon für das ganze Stück ausschlaggebend.
Wenn diese Stimmung fixiert ist, überlege ich mir als nächstes einen formalen Ablauf, in dem unter Umständen auch schon die harmonischen Strukturen und besondere Punkte im Verlauf des Stückes festgelegt werden.
In diesem Schritt erstelle ich eine Skizze, in der das gesamte Stück schon enthalten ist. Dieses Stadium würde ich mit dem Satz "Wenn ein Zuhörer ein Stück einmal gehört hat, hat er den Eindruck, den der Komponist von seinem Werk hat, bevor es konkret in ihm entsteht." beschreiben, weil diese Aussage den diskutierten Zustand meiner Meinung nach sehr gut trifft.
Nachdem die große Form feststeht, stellt sich als nächstes die Frage, wie die einzelnen Bögen organisiert werden, die die Abschnitte ergeben, die die Großform bilden. Dabei wird auch der harmonische Formplan konkretisiert. Jetzt wird zum Beispiel festgelegt, wo der Höhe- oder Tiefpunkt des Stückes sein soll/kann, oder es werden unter Umständen auch schon Strukturen erarbeitet, die einzelne Teile später bestimmen können.
Die im letzten Abschnitt beschriebenen Aspekte entstehen allerdings eigentlich immer erst, wenn ich das Stück schon konkret komponiere. Vor dem Beginn des Schaffensprozesses habe ich diese Aspekte nur sehr vage vor mir, praktisch wirklich nur als das undeutliche Gerüst, daß die formale Überlegung darstellt.

Auch denke ich sehr stark in Schichten. So gibt es bei meinen Überlegungen eigentlich immer die klassischen Schichten "Melodie, Begleitung…".
Oft hilft es mir, als erstes eine Schicht zu erstellen, die eine fließende Kontinuität herstellt und den formalen Ablauf des Stückes konkretisiert. Danach ist es meist leichter, die melodische Struktur des Stückes zu entwickeln. Wenn die Schicht, die das Kontinuum darstellt (was oft der Fall ist), eine Schicht darstellt, die außer der Eigenschaft, die ihr Name besagt, keine zusätzliche Information trägt, beginnt der eigentliche Kompositionsprozess für mich eigentlich erst jetzt, weil jetzt die Eindimensionalität der skizzierten Struktur verlassen, aufgewertet und belebt wird.
In diesem nun folgenden Arbeitsschritt gewinnt das Werk seine Individualität und ich beginne, die in der formalen Übersicht skizzierten Stimmungen umzusetzen. Jetzt entwickelt sich das Material meist "von selbst". Damit meine ich, daß ich bis zu diesem Punkt eigentlich nur ganz wenig konkretes Material entwickelt habe. Es gibt zwar unter Umständen (und selbst das eigentlich nie) einzelne Motive oder Ideen transportierende Partikel, aber dieses Material reicht nicht aus, mehr als die bloße Idee zu vermitteln.
Im Prinzip baue ich meine Strukturen, indem ich ein Motiv erfinde, welches den Anfangspunkt der melodischen Struktur darstellt, der Rest entsteht " von selbst", soll heißen, einfach, indem ich das Stück schreibe. Weiter kann ich sagen, daß ich mein Stück im Verlauf des Entstehungsprozesses rückwirkend immer wieder analysiere, um zu sehen, wie die Entwicklung vonstatten geht und sie auf ihre Logik hin zu überprüfen.
Im Übrigen unterscheidet sich die Art und Weise des Entstehungsprozesses natürlich auch immer durch die im jeweiligen Stück erwünschte Stimmung: Das heißt, wenn ein Stück durch seine Zerrissenheit leben soll und dies der zentrale Aspekt des Werkes sein soll, kann die Struktur logischerweise nicht durch Kontinuität entstehen. Allerdings ist es für mich auch dann sehr wichtig, die "Kontinuität in der Diskontinuität" herzustellen. Damit meine ich, daß ich natürlich auch dann einen durch das Material zusammenhängenden Bogen schaffen will. Insofern kann ich die Überlegung, daß ich meine Stücke "von Motiv zu Motiv" entwickle, doch auf alle meine Stücke anwenden.
Was mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig zu erwähnen zu sein scheint, ist die Feststellung, daß die Aussage, das Stück schreibe sich nun "von selbst", (logischerweise) keineswegs so zu verstehen ist, daß keine Probleme auftauchen. Die Probleme tauchen natürlich erst jetzt auf, weil sich das Stück in dieser Phase des Kompositionsprozesses konkretisiert und gewissermaßen "materialisiert". Also erweist sich jetzt, ob die am Anfang überlegten "Kernmotive" taugen und entwicklungsfähig sind. Oder anders: Jetzt gilt es, aus dem diffusen Dunst der Wolke, in der sich die anfängliche Vorstellung des Stückes manifestiert hatte, das herauszudestillieren, was das Stück "auf einen Weg schicken kann, der möglichst direkt zum Ziel führt". Die Suche nach einer Möglichkeit, diese Vorstellung umzusetzen, ist meiner Erfahrung nach der schwierigste Teil im Kompositionsprozess, weil ich in dieser Phase eigentlich schon ziemlich genau wissen muss, was mein eigentliches Anliegen im jeweiligen Stück ist.
Damit können zwei Probleme gemeint sein:
  1. Zum einen kann ich zwar eine Vorstellung haben, wie die Struktur des Stückes gebaut sein soll, aber nicht wissen, wie ich sie umsetzen kann. Dieses ist eigentlich dasjenige Problem, daß bei mir öfter auftritt.
  2. Zum anderen kann mir auch schon die Grundstruktur, die das Stück bilden soll, noch unbekannt sein.
Jetzt gilt es erstmalig im Entstehungsprozess des Stückes, das Material zu prüfen, beziehungsweise besser gesagt, überhaupt den Weg zu erschließen, auf dem ich meine "Dunstwolke" in einen konkreten Prozess einbinden kann, also aus ihr überhaupt erst etwas konkretes entstehen lassen kann. Und das ist meiner Meinung nach überhaupt der schmerzhafteste und komplizierteste Moment im ganzen Entstehungsprozess. Wenn ich diesen Punkt überwunden habe, dann geht es meistens zumindest fürs erste wieder ziemlich zügig weiter, weil ich dann den ersten Schritt, der ja bekanntermaßen der schwierigste ist, geschafft habe.
Was mir an diesem Punkt im Entstehungsprozess eines Stückes so schwer fällt, ist einfach das Moment der Tatsache, daß ich mich nun auf den Weg in das Stück begebe, also im Prinzip die simple Tatsache, um die man nie im Leben kommt: einfach einmal anzufangen. Deshalb ist es für den Leser jetzt wohl eher eine Art Witz, was ich versuche, hier darzulegen, aber vielleicht ist es das ja selbst für mich.
Im Prinzip ist diese Phase des Entstehungsprozesses jener Augenblick, wo man die "Linie, die den sicheren Hafen begrenzt", überschreiten muss, um sich auf unsicheres Terrain zu begeben. Und der ist meiner Meinung nach der kritischste überhaupt, weil man jetzt vielleicht zum einzigen Mal im Prozess der Komposition in der Luft schwebt. Wenn man diesen Punkt überwunden hat, hat man es natürlich bei weitem noch nicht geschafft, logisch, aber durch das Schreiben des Stückes erhält man neue Inspirationen und Anstöße.
Ich möchte diesen Punkt als nächstes mit dem allerersten Anfangspunkt im Kompositionsprozess vergleichen:
Er unterscheidet sich in so fern vom ersten Anfang, weil man jetzt im Gegensatz dazu nicht mehr frei ist, auf der anderen Seite gleichzeitig aber auch noch nichts hat, auf das man sich stützen und aus dem man das Stück weiterentwickeln kann. Und eigentlich ist es ganz lustig, daß dieser schwierigste Moment im Prozess der Komposition, was den nötigen Arbeitsschritt betrifft, ja nur ein Moment ist, zumindest was den Schreibeaufwand betrifft. Was die Dauer des Findungsprozesses für diesen Anfang betrifft, dahingehend möchte ich mich lieber nicht festlegen.
Denn meist ist mit der Entstehung des ersten Motivs gewissermaßen der Bann auch schon gebrochen. Und dann ist der Moment, ab dem sich das Stück "von selbst" schreibt, auch schon vorbei.
Jetzt beginnt also der konkrete Entstehungsprozess des Stückes, in welchem ich das Stück von Motiv zu Motiv "weiterwebe". Oft entstehen die konkreten Vorstellungen für die Stimmungen der einzelnen Abschnitte erst in dieser ersten Phase des konkreten Entstehungsprozesses. Damit will ich sagen, daß bis zu diesem Zeitpunkt alle Überlegungen noch sehr offen gehalten sind, also immer noch alles und nichts da ist.
Eigentlich ist die Überlegung, die mir für ein Stück zum Anfangen schon genügt, eine, die zum Beispiel sein kann: langsam - schnell - langsam mit Angaben der Dauer der einzelnen Teile. Alles andere entsteht eigentlich schon im konkreten Entstehungsprozess des Stücks. Der einzige konkrete Anhaltspunkt, den ich am Anfang habe, ist wirklich die Ausgangsstimmung und das entsprechende Mittel. (Ich schreibe in diesem Zusammenhang "Mittel", weil es noch nicht zwingend ein Motiv sein muss, das ich benötige, um das Stück beginnen zu können.)
Was nun der nächste Schritt ist, ist, die Entwicklung zu starten, "ins Rollen zu bringen". Dies geschieht durch die Verknüpfung der einzelnen Motive, die im Laufe des Schreibens intuitiv entstehen. Überhaupt würde ich den Entstehungsprozess meiner Musik als sehr intuitiv und damit dem Improvisieren sehr verwandt beschreiben.
Den Prozess des Webens der Motive würde ich mit dem Bild beschreiben, sich von Motiv zu Motiv zu hangeln, weil dieses für mich eigentlich genau den ablaufenden Vorgang beschreibt. Es ist wirklich, als wenn man sich von Baum zu Baum hangeln würde.

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