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Versuch, meinen Standpunkt und die daraus
resultierende Ästhetik darzulegen
(ab 3.11.04)
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(…)
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.
Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
gelösten Wald von Lager und Genist;
und da ergab sich, daß sie nicht aus List
und nicht aus Angst in sich so leise waren,
sondern aus Hören, Brüllen, Schrei, Geröhr
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,
ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
mit einem Zugang, dessen Pfosten beben,--
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.
(Rainer Maria Rilke „Die Sonette an Orpheus“(1922),
I. Teil, Sonett 1 (2.Teil bis Ende))
Ich habe diesen Ausschnitt aus Rilkes Sonetten gewählt, weil er meine Überlegungen,
die ich in diese Tagen gerade anfange, mir klarzumachen, auf eine treffende
Weise darstellt.
Wenn ich vor einem leeren Notenblatt sitze, um ein neues Stück zu beginnen,
so stellt sich mir im Moment das Problem, daß die erste Note, die ich
schreibe, mich schon so „einengt“, daß ich sie am liebsten
nicht schriebe. Das mag dem Leser dieser Zeilen vielleicht sehr seltsam vorkommen
(und das zu recht, denn es ist wahrhaftig sehr seltsam), aber ich glaube, diesen
Zustand dahingehend erklären zu können, daß ich mit der ersten
Note meine absolute Freiheit fast schon „verloren“ habe: Denn so
lange das Blatt weiß ist, schwebt der Komponist sozusagen noch „im
Äther“, mit der ersten Note hat er natürlich auch noch nicht
alles festgelegt, aber der Klang/ Klangcharakter und Gestus, der durch die Wiedergabe
diese Tones durch das jeweilige Instrument gegeben ist, eröffnet oft schon
die ganze Welt des Stückes. Auch ist die Ausgangstonalität spätestens
nach den ersten Tönen schon fixiert. Ich bin mir natürlich völlig
darüber bewusst, daß alle hier diskutierten Überlegungen keinerlei
neue Erkenntnis darstellen, aber sie sind das Thema, daß mich in meiner
kompositorischen Arbeit gerade zentral beschäftigt. Ich schreibe sie erst
einmal für mich auf, und weiter natürlich auch, um meinen Standpunkt
(mir und) anderen zu vermitteln.
Als ich diese Tage beim Durchblättern alter Skizzen auf die Notiz „Die
Struktur meiner Kammermusikwerke auf das Orchester übertragen“ stieß,
war das wie ein Erleuchtungsblitz für mich. Ich habe daraufhin beschlossen,
die ganze Lebensmesse noch einmal auf eine völlig andere Weise zu konzipieren
und anzugehen (später). Somit entspricht der momentane Stand, der ja von
vornherein nur ein Zwischenzustand sein kann, wohl überhaupt nicht dem
eigentlichen Zustand, der später einmal Bestand haben wird.
Wenn ich so über den Prozess des Komponierens nachdenke, so komme ich zu
der Überlegung, daß der wichtigste Moment, wie oben gesagt, der Anfang
ist. Deshalb muss dieser Punkt mit besonderer Vorsicht und Bedachtsamkeit gesetzt
werden.
Ich will versuchen, so zu schreiben, daß ich jede Note nicht nur für
mich plausibel machen kann, sondern sich meine Musik ohne große Umwege
auch Hörern (oder Lesern) vermittelt.
Was für mich sehr wichtig ist, ist der tonale Rahmen, in dem sich das Stück
bewegt. Ich möchte dahin kommen, daß ein einzelner Ton eine sehr
große Bedeutung hat, und sich diese Bedeutung durch den Zusammenhang erklärt.
Ich möchte keine großen Experimente machen, weil ich das nicht aufregend
finde und ich möchte nicht extra schwere oder anders geartete Stücke
schreiben. Der Ausdruck und die Mittel sollen immer in einem angemessenen Verhältnis
zu dem beabsichtigten Ausdruck stehen.
Komponieren ist für mich wie sanftest mögliches Weben, wie das sorgfältigst
mögliche Auswählen und Umsetzen der einzelnen Parameter.
Ein weiterer Aspekt, der mir sehr wichtig ist, ist, daß das Kopf und
Bauch in einem angemessenen Verhältnis stehen. So kann eine Komposition
für mich weder reine Kopfgeburt noch „reine Angelegenheit des Bauches“
sein. Wenn ein Stück rein im Kopf entsteht, fehlt ihm die Seele, wenn ein
Werk rein aus dem Bauch entsteht, ist es keine Komposition, sondern Improvisation.
Natürlich kann der Prozess der Improvisation Ausgangspunkt für das
Komponieren sein, aber irgendwann kommt der Moment, wo das improvisierte Material
komponiert, also fixiert und strukturiert wird, und in diesem Moment spätestens
ist der Kopf maßgeblich beteiligt.
Auch darf ein ausgewähltes Mittel niemals um seiner Selbst willen verwendet
werden, sondern es muss immer in einem Zusammenhang stehen, der das Mittel zum
einen erklärt und damit rechtfertigt, zum anderen muss das Mittel auch
der Situation angemessen sein. Natürlich ist es erlaubt und auch ausdrücklich
erwünscht, neue und ungewöhnliche Wege zu beschreiten, aber das Beschreiten
dieser Wege darf nicht geschehen, damit sie beschritten werden, sondern man
muss sie begehen, weil sie der Weg für die Lösung des sich gerade
stellenden Problems sind.
Überhaupt ist es meine große Hoffnung, daß ich immer die Musik
schreiben kann, die mir im jeweiligen Moment vorschwebt, und die das gewünschte
Gefühl bestmöglich ausdrückt, und daß die Mittel, die ich
zur Niederschrift verwende, die sind, die mein Gefühl im diesem Moment
bestmöglich transportieren.
Wenn ich also die Möglichkeit habe, die Stimmung, die mir vorschwebt, mit
drei diatonischen Tönen darzustellen, wieso muss ich dann einen komplizierten
Akkord oder ein mikrotonales Gebilde verwenden? Ich nehme die drei Töne,
und wenn ich die richtigen Töne nehme, wird mir niemand vorwerfen können,
ich sei „zu einfach“. (Woran macht man einfach bzw. kompliziert
eigentlich fest, und woran erkennt man, welche der beiden Möglichkeiten
die bessere ist?!) Wie gesagt, ich will hier in keiner Weise mit Komponisten,
die für sich „komplizierte Wege“ entdeckt haben, in irgendeine
Art von Vergleichsdenken oder gar Konkurrenzkampf treten, denn selbstverständlich
gibt es hoch komplizierte Musik, die ich extrem spannend finde. Nur, mein Weg
ist es (zumindest jetzt) nicht. Wobei, wer weiß? Vielleicht gibt es Leute,
die meine Art und Weise, zu komponieren, auch sehr kompliziert finden.
Ich bin jedenfalls absolut davon überzeugt, daß die Qualität
von Musik nicht von ihrer Komplexität abhängt. Oder anders gesagt:
Stellen wir nicht soundso oft fest, daß die Musik, die wir als „einfach“
betrachten, sich bei näherem Betrachten als komplexer herausstellt, als
sogenannte „komplizierte“ Musik. Ganz abgesehen davon, daß
solche Begriffe immer (und wie sollte es auch anders sein können) selbstverständlich
keine absolute Aussage darstellen können.
Mein Wunsch ist es, die Stimmung, die mir vorschwebt, mit möglichst einfachen
Mitteln möglichst exakt fixieren zu können. Ich möchte eines
Tages den Punkt erreichen, wo ich diesen Zustand möglichst schnell erreichen
kann, indem ich das Repertoire an Mitteln abrufbereit habe, daß mir die
Umsetzung dieser Vorstellung möglichst unmittelbar ermöglicht. Natürlich
muss man wohl für jedes Stück erneut nach dem adäquaten Material
suchen, das ist mir schon klar, aber vielleicht ist es ja möglich, daß
ich eines Tages den Punkt erreiche, an dem ich diese Mittel so verinnerlicht
habe, daß ich sie „immer parat“ habe.
Momentan fühle ich mich so, daß ich ziemlich genau weiß, wie
eine Stimmung sein soll, und auch, daß ich ziemlich gut erkennen kann,
wann ich diese Stimmung erreicht habe, aber der Weg zum Ziel ist vielleicht
noch etwas „holprig“, weil ich unter Umständen sehr lange brauche,
bis ich das Mittel finde, das mir auf den Weg hilft. Ich merke das auch gerade
eben bei meinem Orchesterstück, wo ich seit einem Monat eigentlich weiß,
wie es funktionieren soll, aber immer noch keine konkrete Vorstellung davon
habe, wie ich diese Idee eigentlich umsetzen soll. -..-.. Aber vielleicht ist
diese Vorstellung ja eine Illusion?
Wenn ich meine derzeitige Situation bezüglich des Komponierens beschreiben
soll, so kann ich sagen, daß ich im letzten Jahr schon eine gewisse Schärfung
meines Blickes auf mein eigenes Tun feststellen kann, also daß ich inzwischen
auch selbst weiß, wann ein Stück „fertig“ ist, bzw.,
wann ich die Stimmung, die mir vorschwebt, „erreicht“ habe. Dabei
ist mir auch klar, daß diese ganzen Ausdrücke, wie, ich habe das
Ziel erreicht, extrem relativ sein müssen, weil wir, wann immer wir ein
Ziel erreicht haben, feststellen müssen, daß das Erreichen dieses
Zieles nur der Startpunkt für den Weg zum nächsten Ziel ist.
Was mich außerdem fasziniert, ist der Versuch, den Stillstand zu komponieren.
Ich möchte eigentlich eine Kunst versuchen, die möglichst viele „gängige“
Ansätze vermeidet, wobei natürlich die Gretchenfrage bleibt: „Wie
vermeide ich diesen gängigen Ansatz?“
Aber die Antwort dieser Frage erübrigt sich eigentlich, bevor ich sie richtig
gestellt habe, weil mich die Antwort darauf ehrlich gesagt überhaupt nicht
interessiert. Ist es nicht so, daß jeder Ansatz „gleich gut“
ist, so lange er so präsentiert wird, daß er verständlich ist
(was immer das heißt)?
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