|
KUNST: Pornographie, Erotik, Geschlechtliche Identität, Gender
In meiner künstlerischen Arbeit habe ich mich lange und intensiv mit dem Themenbereich Geschlechtlichkeit auseinandergesetzt. Dabei habe ich mich diesem Themenbereich aus verschiedenen Perspektiven heraus genähert. Trotzdem wurde meine Kunst oft zu einseitig wahrgenommen. Um dieser undifferenzierten Sichtweise entgegenzuwirken, habe ich diesen Ausschnitt meiner künstlerischen Arbeit hier zusammengestellt und grenze die Gebiete "Pornographie", "Erotik", "Geschlechtliche Identität" und "Gender" von einander ab.
Unter dem Bereich "Pornographie in der Kunst" verstehe ich Kunst, die explizit pornographisches Bildmaterial oder Pornographie thematisiert. Merkmal von Pornographie ist die völlig offen in den Mittelpunkt gestellte Sexualität. Nichts wird verschleiert oder romantisiert. Die sexuelle Anregung bzw. Befriedigung ist Gegenstand dieser Kunst oder des Zugrunde liegenden Materials. Als "Erotik in der Kunst" fasse ich Kunst zusammen, die sich mit den geheimnisvollen und sinnlichen Aspekten von Sexualität und Geschlechtlichkeit beschäftigt. In diesem Bereich sind Körperlichkeit, Berührung und Intimität wichtig. Mit "Geschlechtlicher Identität" beschäftigt sich Kunst, die als Thema die Polarität von Mann- oder Frausein hat bzw. das Aufheben einer geschlechtlichen Zuordnung. In diesen Themenbereich fällt für mich auch Kunst, die sexuelle Orientierungen, zum Beispiel Hetero- oder Homosexualität, thematisiert. Der Bereich "Gender" beschreibt Kunst, die sich mit männlichem und weiblichem Rollenverhalten auseinandersetzt. Dazu gehören geschlechtstypische Verhaltensweisen, Bilder und Techniken, die meistens auf gesellschaftliche Traditionen zurückzuführen sind.
Zur Verdeutlichung der Bereiche ziehe ich eigene Arbeiten und Kunstwerke verschiedener Künstler heran, die in diesen Themenbereichen arbeiten. Nicht jedes Kunstwerk des übergeordneten Themenbereichs lässt sich eindeutig einem der Unterbereiche zuordnen. Kunstwerke sind vielschichtig und verbinden Themen miteinander. Aber diese Einteilung kann als Ausgangspunkt für eine kritischere Lesweise dienen.
PORNOGRAPHIE
Für mein "Pornoprojekt" habe ich pornographisches Bildmaterial aus dem Internet verwendet. Ich habe kleine animierte Bilder ("Gifs") gesammelt, die als Vorschau auf Startseiten und Bannern von Pornoseiten zu finden sind (Abb. 2). Diese Bilder habe ich von allen Schriftanteilen befreit und zu drei Serien und einer Seite "alles" verarbeitet.
In der ersten Serie wird das Bild gekachelt über das ganze Browserfenster gezeigt. Es entstehen teppichartige Muster, die sich rhythmisch bewegen. Durch die Kachelung und die Bewegung, die sich über den ganzen Bildschirm zieht, wird die Oberflächlichkeit der Bilder hervorgehoben und der Inhalt des Einzelbildes ironisiert. Obwohl die Bilder nicht verfremdet wurden, ist es in der ersten Serie zum Teil nicht einfach, auf den ersten Blick den Inhalt des Einzelbildes zu erkennen. Die starke Vergrößerung in der zweiten Serie rückt zum einen die Farbigkeit der Bilder in den Blick und zum anderen wird der Aspekt des Computerbildes betont, in dem jeder Pixel groß zu sehen ist. Für die dritte Serie wurden Einzelbilder in die Mitte der sonst leeren Seite gestellt. Im ursprünglichen Zusammenhang sind diese kleinen Bilder Beiwerk und befinden sich auf mit Bildmaterial und Schrift überladen Internetseiten. Durch das Herausnehmen aus dem ursprünglichen Gefüge konzentriert sich der Blick des Betrachters auf das einzelne Bild.
Zum Abschluss habe ich auf einer Seite "alles" (Abb. 1) alle Bilder zusammengefasst. Dadurch wird genau das Gegenteil der dritten Serie erreicht. Hier wird der Betrachter mit Bildern überflutet. Die Überladung an Bildern, die Merkmal der meisten pornographischen Internetseiten ist, wird auf die Spitze getrieben, in dem der ganze Bildschirm bis zum Rand mit sich bewegenden Bildern gefüllt ist.
Abb. 1 Einzelbild aus dem "Pornoprojekt", Cornelia Geissler |
|
Abb. 2 Seite "alles", Still aus dem "Pornoprojekt", Cornelia Geissler |
|
Zum Vergleich möchte ich auf die Serie "Nudes" des Künstlers Thomas Ruff eingehen. Auch er hat eine Serie mit Bildmaterial aus dem Internet gemacht (Abb.3 und 4). Auf den ersten Blick sind seine Motive denen meines "Pornoprojekts" sehr ähnlich.
Abb. 3, 4 aus der Serie "Nudes", Thomas Ruff, 2000-2002
Aber es gibt wesentliche Unterschiede zu meiner Arbeit, was die Verarbeitung des Ausgangsmaterials, die Präsentationsform und die Auswahl der Bilder anbelangt.
Ruff hat alle seine Bilder mit einem Weichzeichnungsfilter belegt. Das finde ich aufgesetzt und unnötig. Trotz des Filters sind die Bildinhalte gut zu sehen. Der Filter hat also keine verschleiernde Funktion. Er könnte eine Anspielung auf Weichzeichnungsfilter sein, wie sie bei Portraits oder Landschaften zum Herstellen einer romantischen Stimmung verwendet werden. Aber die Bildinhalte sind nicht romantisch, deswegen gibt es keinen Anlass den Filter aus solch einem Grund einzusetzen. Ruff nimmt die Bilder aus ihrer Internetumgebung heraus und präsentiert sie als Fotoabzüge mit Holzrahmen und Passepartout. Diese Art der Präsentation führt bei mir zu den Assoziationen: "Die Schmuddelwelt des Internets hält Einzug in die geleckte Welt der Galerien." Und: "Der finanzkräftige, gutbürgerliche Käufer dieser Kunst kann sich mit einer Weichzeichnersoße versehene Pinups an die Wand hängen und sich mit der sauberen Einfassung und dem berühmten Namen rechtfertigen." Mein "Pornoprojekt" präsentiert sich dagegen im Internet oder über einen Beamer als großflächige, bewegliche Tapete an der Wand. Es bleibt beweglich und flüchtig, wie die Bilder, aus denen es besteht.
Ich habe auch eine Papiervariante hergestellt, in der ich die Bilder auseinander genommen habe und die kleinen Einzelbilder der animierten Gifs comicartig nebeneinander gestellt habe. Es ist spannend, die kleinen Variationen der drei bis fünf Teilbilder eines animierten Gifs nebeneinander zu sehen. Auch wenn die Bilder in dieser Form in einer Galerie an der Wand präsentiert werden könnten, entsteht ein anderes Szenario als bei den Bildern von Ruff. Weil die Bilder so klein sind, muss der Betrachter nah an das Bild herangehen. So entsteht ein privater Raum zwischen Bild und Betrachter.
Ein weiterer Unterschied meines "Pornoprojekts" zu der Arbeit von Ruff ist der humoristische Aspekt, der in meiner Arbeit zu finden ist, und der bei Ruff nicht zu sehen ist. Dieser Unterschied ist auf die Auswahl des Ausgangmaterials zurückzuführen. Ich habe Bilder gesammelt, die komisch und zum Teil absurd sind. Die Anordnung als Tapete oder als Einzelbild habe ich bewusst so gewählt, dass die Absurdität des Bildes verstärkt wird.
Andere Künstler, die pornographische Inhalte in ihrer Kunst zeigen, sind Jeff Koons und Kembra Pflahler. In seinem großformatigen Bild "Starring: Jeff Koons und Cicciolina" von 1989 (Abb. 5) verwendet Koons die Bildsprache von Pornographie und Werbung. Seine Frau liegt in einer Pose, wie sie aus der Pornographie bekannt ist, mit wenigen Dessous bekleidet im Bild. Künstliche goldene Felsen und die Hintergrundmalerei erinnern an alte Hollywoodfilme. Koons Kunst thematisiert die Inszenierung der Oberfläche, die sowohl Merkmal von Werbung als auch von Pornographie ist. Persönlichkeit und Individualität von Personen treten in den Hintergrund, das einzige, was zählt, ist der Schein. Die Körper sind ein Produkt, das auf dem großformatigen Plakat vermarktet wird. In dem Plakat nimmt Koons das typische, heterosexuelle Rollenbild von der sich hingebenden, willigen Frau und dem Besitz ergreifenden Mann auf. Sein auf den Betrachter des Bildes gerichteter Blick nimmt der Szenerie jede Privatheit und zieht den Betrachter mit ins Bild. Auf diese Weise wird der Betrachter Bestandteil der offenen sexuellen Situation.
Abb. 5 „Starring: Jeff Koons und Cicciolina“ Jeff Koons, 1989
Im Umgang mit meinem "Pornoprojekt" und meinen anderen Arbeiten habe ich oft den Eindruck gehabt, dass die Betrachter den Tabubruch sehen möchten, den es nicht gibt. Es ist bezeichnend, dass der Provider meiner Internetseiten mir aufgrund von pornographischem Bildmaterial meine Webseiten fristlos gekündigt und gesperrt hat. Wenn ich das erzähle, wird die Erwartung einer Sensation geweckt, die dann nicht in Erfüllung geht. Im Pornoprojekt ist zwar jede Art von Sexualität offen zu sehen, einschließlich Sex mit Tieren und Kindern, aber es nicht Absicht des "Pornoprojekts" zu schocken und das tut es auch nicht. Die Zeiten, in der Künstler durch pornographische Kunst Fragen nach gesellschaftlicher Moral und Tabus stellen konnten, sind vorbei. Bilder, die direkt aus der Pornographie abgeleitet werden können, sind mittlerweile in der Öffentlichkeit überall als Reklame an Bushaltestellen und auf S-Bahnhöfen zu finden. Eiswerbung (im Sommer 2005 aktuell: "Zwei Höhepunkte auf einmal" für ein Eis, bei dem die Waffel mit Mandeln verfeinert ist), Unterwäsche- oder Bikiniwerbung benutzt Sexualität plakativ für ihre Werbebotschaften. Im Fernsehen und im Internet ist pornographisches Bildmaterial so aufdringlich, dass es auch hier nicht möglich ist, sich dem zu entziehen. Pornographische Bilder sind in die Öffentlichkeit integriert und gesellschaftsfähig geworden. In seinem Buch "Selbst, inszeniert" behandelt Matthias Mühling die Selbstdarstellungen von Künstlern in der Kunst. Zum Thema Pornographie schreibt er: "Pornographie ist ubiquitär, sie scheint gesellschaftsfähig geworden zu sein, das Stigma des Vulgären und Unkultivierten hat sie spätestens mit dem Börsengang von Beate Uhse oder den Quotenerfolgen von ‚Peep' und ‚Liebe Sünde' abgelegt" (Mühling 2004).
Ein Beispiel für den erwarteten Tabubruch, der nicht stattfindet, ist die Darstellung "Kembra (in Penthouse, sewn vagina", 2001) von Kembra Pflahler (Abb. 7). In dem Bild ist Pfahler dabei zu sehen, wie sie sich die eigene Vagina zunäht. Man hat den Eindruck, dass die Künstlerin mit dem Bild und der Handlung schocken will. Aber vor dem Hintergrund der Massenverbreitung von pornographischen Bildern kann so eine Darstellung keine Tabus mehr brechen. Das Bild bleibt an der von Inhalt entleerten ästhetischen Oberfläche. Es ist nur noch ein Zitat von Tabubrüchen vergangener Jahrzehnte. In den sechziger und siebziger Jahren, als Moralvorstellungen gesellschaftlich noch weiter verbreitet waren, haben Künstler an den Grenzen dieser Moralvorstellungen gearbeitet. Dazu gehört Performancekunst mit nackten Körpern (z.B. Marina Abramovic), mit Blut und Selbstbemalungen (z.B. Günter Bruns). In den neunziger Jahren sind dann die Chapman-Brüder bekannt geworden, die plakativ mit einer Mischung aus Sex, Gewalt, Kinderpornographie und Nazisymbolen arbeiten. Allerdings finde ich, dass die Kunst der Chapmans auch in den neunziger Jahren schon keine Frage mehr nach moralischen Grenzen und Tabus bedeutet hat, sondern eher Fragen über das Maß an möglicher Geschmacklosigkeit und nach der psychischen Verfassung der Künstler aufgeworfen hat (Abb. 6).
Abb. 6 "Bad Trips at the Folies-Bergère", Jake und Dinos Chapman, 1997
Mein Eindruck ist, dass es Tabubrüche durch pornographisches Bildmaterial heute nicht mehr auf gesellschaftlicher Ebene geben kann. Tabus können nur noch auf der persönlichen Ebene einzelner mit Moralvorstellungen oder persönlichen Empfindsamkeiten behafteten Personen angesprochen werden. Aber für eine an Öffentlichkeit interessierte Kunst ist das Brechen von Tabus durch Kunst als Thema ausgereizt und damit uninteressant geworden.
Pornographie bleibt als künstlerisches Thema interessant, da es außer dem Tabubruch viele spannende Aspekte beinhaltet. "Oberfläche" und "Massenverbreitung" von pornographischem Bildmaterial habe ich mit meinem "Pornoprojekt" und den vorgestellten Beispielen schon behandelt. Weitere interessante Aspekte sind "Benutzeroberfläche und Pornographie". Änne Söll von der Universität der Künste (UDK) Berlin hat eine Forschungsarbeit zu diesem Thema veröffentlicht (Söll 2004), in der es inhaltlich nicht um Kunst geht, die aber für künstlerische Arbeiten sehr anregend sein kann. Behandelt werden Pornoseiten, bei denen ein interaktives Verändern der Darstellung möglich ist. Davon trennen würde ich den Aspekt "(Computer-)Technik und Pornographie". Es geht hier nicht so sehr um die Interaktivität, sondern um die Verbindung von Computer und Körper. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Satz "Willst Du mich über ISDN oder LAN", der in Verbindung mit dem Bild einer Frau in Dessous die Besucher dazu auffordert, die Schnelligkeit ihrer Internetverbindung anzugeben. So wie schnelle Autos oder Motorräder mit nackten Frauen fotografiert werden, werden hier Computer und sexuell anregendes Material zusammengebracht. "Anonymität" und "Distanz" sind weitere Aspekte von Pornographie, die für Künstler interessant sein können. Durch die Anonymität des Internets geschützt, trauen sich Menschen Dinge, die sie sonst nicht tun oder äußern würden. Auch die "Bezahlgrenzen im Netz" sind interessant. Durch die bezahlten Zugänge im Internet gibt es Grenzen. Es entsteht ein Drinnen und ein Draußen. Noch gibt es alles, was es bezahlt gibt, wenn man etwas sucht, auch umsonst. Aber mein Eindruck ist, dass immer mehr Bereiche gesperrt werden. Die juristische Verfolgung von Unerlaubtem, zum Beispiel von offen zugänglichem jugendgefährdendem Material im Internet, nimmt im Moment grade sehr stark zu und verändert die Struktur des Internets.
Andererseits hat das Internet in Bereich der sexuellen Kontakte einen Raum geöffnet, den es in diesem Ausmaß vor dem Internet nicht gegeben hat. Mit dem Vorhandensein von "Seitensprungagenturen" ist es nicht mehr notwendig für Sex zu bezahlen. Auch vor dem Internet hat es Orte gegeben wo sich Menschen mit speziellen sexuellen Vorlieben getroffen haben, aber meistens waren das "verruchte" Orte, die gleich ein Bekenntnis zu einer bestimmten Szene ("schwule Lederszene", "SM" usw.) zur Folge hatten und meist eine örtliche Gebundenheit an die Großstadt hatten. Über das Internet können sich Menschen mit sehr speziellen sexuellen Interessen finden. Auch diesen Bereich könnte man künstlerisch thematisieren. Es ist zum Beispiel ein sehr eigenes Bildgenre, was Menschen an privat hergestellten pornographischem Material ins Netz stellen.
Ein weiteres unter künstlerischen Aspekten interessantes Thema könnte "Alte Menschen in pornographischen Bildern" sein. Mit der Oberflächlichkeit von kommerziellen pornographischen Bildern wird, wie in der Werbung, meist ein "Jugendwahn" transportiert. Man darf nicht alt und gebrechlich sein. Aber als eine Richtung von Bildern, die für spezielle sexuelle Interessen im Internet angeboten werden, gibt es auch pornographische Bilder von alten Menschen.
In seinem oben erwähnten Buch schreibt Mühling (2004) über Pfahler: "Sie zeigt aber was für Kunst und Leben unwiederbringlich verloren gegangen ist: die Authentizität der Erfahrung und der Wahrnehmung des Körpers." Ich denke, Mühling hat mit dieser Aussage Recht, wenn er sie auf Pornographie im Informationszeitalter und die globale Verwertbarkeit von pornographischen Bildern bezieht. Aber ich finde, dass es grade wegen dieser Abstumpfung an dem überall vorhandenen sexuell aufgeladenem Bildmaterial ein Anliegen von Kunst sein kann, authentische Erfahrung und Körperwahrnehmung zu thematisieren. Eine solche Kunst begibt sich in eine Gegenbewegung zur Pornoindustrie im Cyberspace.
Es gibt heute viele Kunstströmungen nebeneinander. Kunst kann sich thematisch mit der Oberflächlichkeit und Übersexualisierung von globalem Bildmaterial auseinandersetzen oder mit ihrem Gegenpol, der persönlichen, authentischen Erfahrung. Wichtig ist, dass das Anliegen des Kunstwerks deutlich wird und es in dem Kontext gelesen wird, in dem es gemeint ist.
Abb. 7 „in Penthouse, sewn vagina“, Kembra Pfahler, 2001
EROTIK
Außer bei dem "Pornoprojekt" habe ich auch in anderen künstlerischen Arbeiten Sexualität thematisiert. Diese Arbeiten ordne ich nicht unter dem Aspekt "Pornographie" ein, obwohl zum Beispiel bei einigen meiner Tonfiguren (Abb. 11, 26, 27, 30) die Sexualität offen und direkt thematisiert wird. Aber sie sind zum Teil sehr abstrakt und durch das Material weit von pornographischen Bildern, wie man sie im Internet oder im Sexshop findet, entfernt. Der Wille unmittelbar sexuell anregend zu sein, wie das bei Pornographie der Fall wäre, fehlt den meisten dieser Figuren völlig. Solche Arbeiten ordne ich eher unter die Begriffe "Erotik" oder "Geschlechtliche Identität" ein.
Wie ich schon in der Einleitung geschrieben habe, fasse ich unter "Erotik" Kunst zusammen, die sich mit den geheimnisvollen und sinnlichen Aspekten von Sexualität und Geschlechtlichkeit beschäftigt. Grundlage dieser Kunst sind in besonderer Weise die authentischen Erfahrung oder persönliche Beobachtung. Berührung, Körperlichkeit und Sinnlichkeit sind kennzeichnend. Es geht nicht um sexuelle Anregung und Oberfläche wie bei der Pornographie. Ich würde so weit gehen, den Begriff weiter zu fassen und zu sagen, dass "Erotik" nicht unbedingt sexuell sein muss. Wenn zum Beispiel beim Hören oder Spielen eines Musikstücks eine neue Ebene von Verständnis entsteht, wenn Berührung zwischen der Musik und dem Zuhörer stattfindet, dann finde ich, kann man das in machen Fällen als "erotisch" bezeichnen. Meine Klavierlehrerin kann jedes Popstück völlig fehlerfrei vom Blatt spielen, aber weil ihr diese Musik so fremd ist, bleibt die Musik leer. Zwischen ihr und der Musik ist keine erotische Anziehung und deshalb wird auch nichts über diese Musik transportiert.
Abb. 8, 9, 10, 11 Cornelia Geissler
Hier (Abb. 8 - 11) habe ich Arbeiten von mir zusammengestellt, die ich als erotisch und sinnlich einordnen würde. Bei einigen ist mein Körper Teil der Arbeit. Eine Zeitlang kam als häufiges Motiv eine stilisierte Vagina vor. Das Motiv habe ich von formelhaft bis zu materiell sinnlichen Varianten sehr unterschiedlich ausgestaltet.
Abb. 12 Henri de Toulouse-Lautrec, 1895
|
|
Abb. 13 Wolfgang Tillmans, 1998
|
|
Erotische Darstellungen sind ein altes Thema in der Kunst. Ich greife hier als Beispiele ein Gemälde von Toulouse-Lautrec und ein Fotografie von Tillmans heraus. Auch die Bilder von Toulouse-Lautrec und Tillmans ordne ich der Erotik zu. In beiden Fällen ist die erotische Beziehung Gegenstand des Bildes. Bei Toulouse-Lautrec ist es die Beziehung der Frauen zu einander, bei Timans die Beziehung des Modells zum Fotographen bzw. des Modells zum Betrachter. Pornographie bleibt bei Befriedigung und Lust stehen während zu Erotik die Begegnung gehört.
Abb. 14, 15, 16 Cornelia Geissler. Arbeiten, in denen es um Beziehung geht. Leider geht in der Abbildung das Haptische verloren, das ein wesentlicher Teil dieser Bilder ist.
Wenn man die Beziehung Fotograf - Model berücksichtigt, handelt es sich sowohl bei Toulouse-Lautrec als auch bei Tilmans um homoerotische Bilder. Allerdings steht das Thema Homosexualität in diesen Bildern nicht im Mittelpunkt. Die Bilder stellen keine Frage nach einer sexuellen Orientierung oder Konstellation wie das bei Motiven, in denen es hauptsächlich um geschlechtliche Identität geht, der Fall ist. Wesentlich ist sowohl bei Toulouse-Lautrec als auch bei Timans die Beziehung. Auch in meinen Bildern (Abb. 14-16) habe ich mich mit dem Thema Beziehung auseinander gesetzt.
GESCHLECHTLICHE IDENTITÄT
In den Themenbereich "Geschlechtliche Identität" ordne ich Kunst ein, die das Mann- oder Frausein oder die Unentschlossenheit einer Zuordnung behandelt. Ein Beispiel dafür sind Arbeiten von Robert Gober. In seiner Serie "Slides of a Changing Painting" von 1982/1983 (Abb. 17) hat er über einen Zeitraum von einem Jahr immer wieder dieselbe Bildtafel bemalt und hielt die sich verändernden Zustände in einer Diaserie fest. Mann, Frau, Landschaft, Zwitterwesen, Körper und abstrakte Formen folgen aufeinander. 1991 entsteht sein aus Bienenwachs und menschlichen Haaren gegossen und modellierter "Untitled (Torso)" (Abb. 18), in dem er sich auf kein Geschlecht festlegt.
Abb. 17 Robert Gober
Abb. 18 Robert Gober |
|
Abb. 19 Urs Lüthi |
|
In seiner Serie "Numbergirls" von 1973 (Abb. 19) tritt Urs Lüthi in androgynen Posen auf. Eindeutig als Mann erkennbar stellt er das extrovertiert weibliche Verhalten der Numbergirls, die beim Boxkampf mit einem Schild die nächste Runde ankünden, nach. In ihrer Kombination stellen die weibliche Pose und der männliche Körper die geschlechtliche Identität in Frage.
Abb. 20, 21, 22 Cornelia Geissler
In einigen meiner Arbeiten habe ich mich mit dem Motiv des Hermaphrodit, des Wesens, das gleichzeitig Mann und Frau ist, auseinandergesetzt. Bei mir taucht es hauptsächlich als Frau mit Penis auf (Abb. 20 - 22).
In der folgenden Arbeit habe ich unabhängig von einander den großen Frauenkörper und den Phallus, als Symbol für das Männliche gemalt (Abb. 23, 24). Später habe ich die beiden Bilder dann einander gegenübergehängt (Abb. 25). Der Phallus ist zwar kleiner als der Frauenkörper, aber durch die Abstraktion und die Oberfläche der geölten Fingerfarbe wirkt er stark, so dass zwischen beiden Bildern trotz des Größenunterschiedes ein Gleichgewicht entsteht. In dieser Arbeit ging es für mich um die Trennung von Männlichem und Weiblichem, sowie das Gegenüberstellen ohne die Verschmelzung der Geschlechter wie das bei den zwittrigen Motiven der Fall ist.
Leider kann die Abbildung der Größe der Bilder (die Frau ist ca. 3,5 m hoch), die Materialien (der Phallus ist mit Fingerfarbe gemalt, die Oberfläche wurde nach dem Trocknen geölt) und die räumliche Komponente der gegenüberhängenden Bilder nur unzureichend wiedergeben.
Abb. 23, 24, 25 Cornelia Geissler
In den Bereich "Geschlechtliche Identität" gehört für mich auch die geschlechtliche Orientierung. Dazu gehören hetero- und homoerotische Motive. Weil das symbolhafte bei meinen Tonfiguren stark im Vordergrund steht, ordne ich sie hier ein. In meinen Arbeiten gibt es gegengeschlechtliche (z.B. Abb. 26) und gleichgeschlechtliche (z.B. Abb. 29) Konstellationen, also sowohl hetero- also auch homoerotische Motive.
Abb. 26, 27, 28, 29 Cornelia Geissler
Die Nuckelflasche mit der Öffnung hat mich eine Zeitlang beschäftigt, weil sie für mich gleichzeitig eine kindliche Naivität, das Motiv eines Penis und das einer Vagina mit einander verbindet (Abb. 30 - 32). Das ist ein ähnliches Zusammentreffen von Themen wie sie in den Arbeiten von Mike Kelley (Abb. 33) auftaucht.
Abb. 30, 31 Cornelia Geissler
Abb. 32 Cornelia Geissler |
|
Abb. 33 Mike Kelley |
|
GENDER
Dem Begriff "Gender" werden geschlechtsspezifische Verhaltensweisen zugeordnet. "Die Frau am Herd" und "der Mann beim Fußball gucken" sind Schlagwörter für diesen Bereich. In den letzten Jahrzehnten hat die Polarisierung der Verhaltensweisen nach Geschlechtern deutlich abgenommen. Es sind keine Generalisierungen mehr möglich. Aber grade deswegen finde ich es erstaunlich, wie stark die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen gesellschaftlich verankert sind. Es gibt im Straßenbild so gut wie keine Männer, die Röcke tragen, obwohl das Tabu des Rock tragenden Mann von der Hote Couture schon vor ein paar Jahren aufgebrochen wurde. In meinen Bauchtanzkurs hat sich nie ein Mann verirrt, obwohl es keine offizielle Einschränkung auf das weibliche Geschlecht gibt.
Im Gegensatz zu den Arbeiten, die ich bei "geschlechtlicher Identität" gezeigt habe, geht es hier nicht um die Zuordnung zu einem Geschlecht oder einer geschlechtlichen Orientierung, sondern um Eigenschaften, die als "männlich" oder "weiblich" eingeordnet werden, ohne dass dies zwingend notwendig wäre. Die hier vorgestellten Arbeiten kritisieren diese Zuschreibungen, indem sie entweder traditionelle Vorstellungen karikieren, wie Trokel es tut oder indem "männliche" besetzte Bereiche mit "weiblichen" Mitteln hinterfragt werden, wie ich es mit den geklöppelten Kränen (Abb. 36, 37) tue.
Rosemarie Trokel hat in ihren Arbeiten immer wieder Motive und Materialien aufgenommen, die Gender-Fragen aufwerfen. Sie hat zum Beispiel Herdplatten in verschieden Kombinationen ausgestellt. Sie bezieht sich häufig auf gestrickte Wolle, und verwendet sie installativ oder gezeichnet wie im vorliegenden Beispiel (Abb. 35). Handarbeiten sind Tätigkeiten, die sehr eindeutig weiblich zugeordnet werden. Jede Aufnahme von Handarbeitstechniken in Kunstwerken stellt deshalb sofort Gender-Fragen in den Raum.
Es ist eine unterschiedliche Situation, ob die Handarbeitstechnik von einem männlichen oder einem weiblichen Künstler verwendet wird. Wobei ich den Eindruck habe, dass es eher relativ häufig Männer sind, die zum Beispiel auf Sticken als Technik für ihre künstlerische Arbeit zurückgreifen (wie Flinzer in Abb. 34). Sie haben den Vorteil, dass sie durch ihr Geschlecht die weibliche Kodierung der Tätigkeit aufheben. Frauen, die Handarbeiten verwenden, müssen das Handwerk entweder kritisch hinterfragen wie Trockel das tut oder sie laufen Gefahr, in die Sparte Kunsthandwerk eingeordnet zu werden.
Abb. 34 Flinzer |
|
Abb. 35 Trokel |
|
Abb. 36 Amer |
|
Eine andere Variante als Künstlerin mit Handarbeitstechniken umzugehen, ist sie in einem so entfremdeten Kontext einzusetzen, dass sie nicht mehr eindeutig weiblich zugeordnet werden kann. Diesen Weg gehe ich, in dem ich Kräne klöppele (Abb.36, 37). Ich nehme eine alte Handwerkstechnik, die heute kaum noch verwendet wird, auf und verwende sie in einem modernen technischen Zusammenhang. Durch den Kontext ist es nicht möglich die Klöppelarbeit als Kunsthandwerk einzuordnen. Das Motiv ist zu weit von Deckchen und Spitzenkragen entfernt. Obwohl Hafenkräne und die Klöppeltechnik inhaltlich zunächst sehr weit von einander entfernt zu sein scheinen, sieht man bei einem Blick auf die Umsetzung, dass sich das filigrane Bild eines Krans sehr gut für die Umsetzung mit dieser Technik eignet. Das Zusammentreffen von Kran und Spitze ist für den Betrachter zunächst unerwartet und damit erstaunlich und lustig. Darüber hinaus wird der Betrachter angeregt, durch das ungewöhnliche Motiv neue Bezüge herzustellen.
Abb. 37, 38 Cornelia Geissler
LITERATUR
BAUR, E. G.: Meisterwerke der erotischen Kunst, DuMont Buchverlag Köln 1995
MÜHLING, M.: "gegenwärtig: Selbst, inszeniert", Hrsg. Uwe M. Schneede, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2004, S.31
SCHNEEDE, U. M. (Hrsg.): Family Values, Amerikanische Kunst der achziger und neunziger Jahre, Cantz Verlag Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1996
SÖLL, Ä.: Nackt im Netz. Zum Verhältnis von Benutzer- und Körperoberflächen in der Internetpornographie, Genderzine WS 2004/05: OFF-SCENE, http://www.gender.udk-berlin.de, Berlin 2004
TRESCHER, S.: Schnellkurs Kunst der Gegenwart, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003
ABBILUNGEN
Abb. 1 Einzelbild aus dem "Pornoprojekt"
http://telematik.hfbk-hamburg.de/porno/html_c2.html
Abb. 2 Seite "alles", Still aus dem "Pornoprojekt"
http://telematik.hfbk-hamburg.de/porno/html_c2.html
Abb. 3, 4 aus der Serie "Nudes", Thomas Ruff, 2000-2002
http://www.artnet.de/artist/14677/Thomas_Ruff.html
http://www.postmedia.net/ruff/nudes.htm
Abb. 5 Made in Heaven - Starring: Jeff Koons and Cicciolina, Jeff Koons, 1989
aus: gegenwärtig: Selbst, inszeniert, Matthias Mühling, Hamburger Kunsthalle, Hrsg. Uwe M. Schneede, Hamburg 2004, S.27
Abb. 6 "Bad Trips at the Folies-Bergère", Jake und Dinos Chapman, 1997
aus: Schnellkurs Kunst der Gegenwart, Stephan Trescher, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003, S.111
Abb. 7 Kembra (in Penthouse, sewn vagina), Kembra Pfahler, 2001
aus: gegenwärtig: Selbst, inszeniert, Matthias Mühling, Hamburger Kunsthalle, Hrsg. Uwe M. Schneede, Hamburg 2004, S.31
Abb. 8 - 11 Cornelia Geissler
Abb. 12 Die beiden Freundinnen, Henri de Toulouse-Lautrec, 1895
Öl auf Karton, 64x84cm, Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich
aus: Meisterwerke der erotischen Kunst, Eva Gesine Baur, DuMont Buchverlag Köln 1995. S.57
Abb. 13 Chris Cunningham, Wolfgang Tillmans, 1998
André Simoens Gallery am 18.03.05 von
http://www.artnet.de/artist/16647/Wolfgang_Tillmans.html
Abb. 14 - 16 Cornelia Geissler
Abb. 17 Sequenz aus: Slides of a Changing Painting, Robert Gober, 19982/83
Collection Walker Art Center, Minneapolis. T. B: Walker Acquisition Fund 1992
aus: Family Values, Amerikanische Kunst der achziger und neunziger Jahre, Hrsg. Uwe M. Schneede, Cantz Verlag Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1996, S.22 und 23
Abb. 18 Untitled (Torso), Robert Gober, 1991
aus: Family Values, Amerikanische Kunst der achziger und neunziger Jahre, Hrsg. Uwe M. Schneede, Cantz Verlag Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1996, S.22 und 23
Abb. 19 The Numbergirl (1 von 20), Urs Lüthi, 1973
aus: gegenwärtig: Selbst, inszeniert, Matthias Mühling, Hamburger Kunsthalle, Hrsg. Uwe M. Schneede, Hamburg 2004, S.21
Abb. 20 - 32 Cornelia Geissler
Abb. 33 Glorious wound, Mike Kelley, 1986
Installation in der Hamburger Kunsthalle
aus: Family Values, Amerikanische Kunst der achziger und neunziger Jahre, Hrsg. Uwe M. Schneede, Cantz Verlag Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1996
Abb. 34 Alle Wunder dieser Welt, Jochen Flinzer, 1994-96
roter und blauer Polyesterfaden auf Leinwand, 258x103cm, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a.M.
aus: Schnellkurs Kunst der Gegenwart, Stephan Trescher, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003, S.15
Abb. 35 ohne Titel (Storch ), Rosemarie Trokel, 1996
Kopierzeichnung, 29,7 x 21,1 cm
aus: Schnellkurs Kunst der Gegenwart, Stephan Trescher, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003, S.12
Abb. 36 Johanna's Grid, Ghada Amer, 1999
Acryl, Stickerei und Gel auf Leinwand, 153 x 182 cm
aus: Schnellkurs Kunst der Gegenwart, Stephan Trescher, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2003, S.14
Abb. 37, 38 Cornelia Geissler
|